语言 | Sprache [i][ii]
[1] das Vermögen, die allgemeine Fähigkeit zu sprechen, sich zu verständigen; der Informationsträger mündlicher oder schriftlicher Kommunikation (= langage, Sprachvermögen/Sprachfähigkeit)
[2] ein System von Einheiten und Regeln, das den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft als Mittel der Verständigung dient (= langue, Einzelsprache)
[3] eine Varietät von [2], fachlich, regional, sozial,... bedingt
[4] Art der Sprachverwendung: Rede (= parole), Sprechweise, Schreibweise, Stil
[5] kurz für: Programmiersprache
[6] kurz für: formale Sprache
[7] Art der Aussprache, der Artikulation
[8] übertragen: Ausdrucksform nichtsprachlicher Art
[9] Ausdrucksform von Tieren
[10] der Ausdruck von Gedanken in Worten
[1] das Vermögen, die allgemeine Fähigkeit zu sprechen, sich zu verständigen; der Informationsträger mündlicher oder schriftlicher Kommunikation (= langage, Sprachvermögen/Sprachfähigkeit)
[2] ein System von Einheiten und Regeln, das den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft als Mittel der Verständigung dient (= langue, Einzelsprache)
[3] eine Varietät von [2], fachlich, regional, sozial,... bedingt
[4] Art der Sprachverwendung: Rede (= parole), Sprechweise, Schreibweise, Stil
[5] kurz für: Programmiersprache
[6] kurz für: formale Sprache
[7] Art der Aussprache, der Artikulation
[8] übertragen: Ausdrucksform nichtsprachlicher Art
[9] Ausdrucksform von Tieren
[10] der Ausdruck von Gedanken in Worten
Die Sprache im engeren Sinn wird in der Soziologie als erstes Assoziierungsmerkmal des Menschen betrachtet, was soviel bedeutet, als dass wir uns jenem Rudel zugehörig fühlen, dessen Gegröle wir verstehen. Psychologie, Medizin und Neurobiologie haben in den letzten Jahrzehnten festgestellt, dass die hochentwickelte Sprache des Menschen das wesentliche Unterscheidungskriterium zur Sprache von anderen Tieren darstellt, insbesondere zu unseren biologischen Vettern anderer Primatenarten. Ein beträchtlicher Teil unserer Gehirnanatomie ist der Sprache gewidmet. Ein beträchtlicher Teil unseres Energieeinsatzes wird dem Erlernen von einer oder mehreren Sprachen in Wort und Schrift gezollt. Die Sprache im weiteren Sinne steht im Mittelpunkt des menschlichen Treibens. Ohne sie sind wir nicht Mensch.[iii][iv][v]
Unter diesem auf der Hand liegenden Gesichtspunkt betrachtet ist es nicht verwunderlich, dass chinesische Herrscher schon früh eine Notwendigkeit sahen, das Rudel durch eine Sprache zu einigen und somit dem heutigen Nationalismus das wohl wichtigste Identifikationsmerkmal zu geben. Als Premierminister Li Si[vi] unter Chinas erstem Kaiser Qinshi Huangdi vor mehr als 2000 Jahren eine vereinheitlichte chinesische Schrift im gesamten Reich einführte waren die Adelshäuser Europas im vielleicht gar nicht mal übertragenen Sinne damit beschäftigt von Bäumen runter und aus Höhlen rauszukommen. Je länger ich jedoch in China lebe, desto unfassbarer wird die Leistung, die hiermit erbracht wurde. Die sinophone Welt umfasst gegenwärtig geschätzte 1.6 Milliarden chinesische Muttersprachler, von denen wiederum etwa 1.3 Milliarden derselben Dialektgruppe, dem Mandarin, zugeordnet werden. Mandarin hatte sich bei einer politischen Abstimmung über die verbale Zukunft der Volksrepublik nur knapp gegen den in Shanghai und Umgebung gesprochenen Wu Dialekt durchgesetzt, was ich manchmal bedauere, da der Wu Dialekt, dem Japanischen in Melodie ähnlich, schöner klingt als Mandarin. Der Yue Dialekt, der vornehmlich in Guangdong und Hongkong aber auch zumeist in den chinesischen Überseegemeinden von Vancouver, Toronto und San Francisco gesprochen wird, grenzt überhaupt an gesanghafter Poesie und ist daher trotz einer kleiner werdenden kantonesischen Bevölkerungsgruppe immer noch fest verankerte Ausdrucksform für Kunst und Musik. Wie auch in Europa scheint es in China ein Nord-Südgefälle in der phonetischen Sensibilität der lokal entstandenen Sprachen zu geben. Der deutschen Sprache, welche ich gerne mit dem Mandarin vergleiche, wird Kopflastigkeit und regelrechte Eignung zum philosophischen Diskurs zugeschrieben, während Französisch, Italienisch und Spanisch von vielen als Sprachen der Kunst, Ästhetik und Emotion gesehen werden. Ebenso haben die nördlichen Dialekte Chinas eher Bürokratie und konfuzianische Analekten hervorgebracht, als eine umfangreiche Lyrik und Cineastik, für welche vor allem Kantonesisch verantwortlich zeichnet.
Lin Yutang zeigt einen weiteren Interessanten Aspekt auf, der mit der monosyllabischen Struktur des Chinesischen zusammenhängt. Nachdem die gesprochene Sprache vor der geschriebenen existiert hat, ist das ursprünglich gesprochene Chinesisch Grund dafür, dass sich die Schriftsprache in eine piktographische entwickelt hat. [vii] Eine gesprochene Sprache, welche aus nur 414 Silben besteht, kann nicht durch 24 oder 26 abstrakten Buchstaben abgebildet werden, da die Buchstaben nicht ausreichen würden, um die verschiedenen semantischen Konzepte, die hinter einem jeden Wort stehen zu verdeutlichen. So hat das Chinesische dutzende Schriftzeichen, die allesamt yi ausgesprochen werden, aber Unterschiedlichstes beschreiben. Ein jeder Chinesischlernende kennt die klassische Betonungsübung ma1 蚂ma2 妈 ma3 马 ma4 骂,also ein ma, welches einmal gleichbleibend hoch, einmal ansteigend, einmal fallend und wieder ansteigend und einmal abfallend ausgesprochen wird, aber 1.Ameise, 2. Mutter, 3. Pferd, 4.fluchen bedeutet. Schriftzeichen waren eine logische Konsequenz, diese Silbenbeschränkung eindeutig und verständlich abzubilden. Lin Yutang folgert aus diesem Umstand, daß auch die chinesische Denktradition zum Konservatismus hin beeinflusst wurde. Einmal niedergeschriebene Gedanken wurden in einer Art literarischen Vererbung über Generationen von Gelehrten weitergegeben ohne sie umzuschreiben oder neu zu formulieren. Die Schriftsprache entwickelte sich somit immer weiter von der gesprochenen Sprache weg und führte dazu, dass selbst zu Beginn des 20. Jahrhundert nur eine kleine Elite, vergleichbar mit jenen europäischen Gelehrten des Mittelalters, die Latein für Politik und Wissenschaft verwendeten, der Schriftsprache mächtig war. Lin Yutang mutmaßt (im Jahr 1935!) sogar, daß die Obrigkeitshörigkeit und Erduldsamkeit des chinesischen Volkes mit seiner Sprache in Zusammenhang steht und folgert, dass eine der indo-germanischen Sprachfamilie ähnliche Sprache, selbst die statische Lehre Konfizius erschüttert hätte und somit auf das Heute umgelegt auch die Authorität der KPC untergraben würde.
Durch diesen Vergleich zwischen Europa und China wird eines deutlich: unter Qinshi Huangdi wurde zwar der Versuch unternommen, die Sprachen zu vereinheitlichen, gelungen ist jedoch nur die Einführung einer einheitlichen Schriftsprache und einer Terminologie, die untereinander unverständliche Sprachen nicht als solche bezeichnet, sondern alle Sprachen zu Dialekten einer Sprachfamilie werden läßt. Aus der Perspektive des chinesischen Bürgers macht dies einen großen Unterschied: wir sprechen unterschiedliche Dialekte derselben Sprache. Oder: wir sprechen alle unterschiedlicher Sprachen derselben Sprachfamilie. Die bewusste Steuerung der Terminologie ist ein Merkmal des chinesischen Nationalismus und läßt mich immer wieder an ein herrliches Sprichwort denken: Auf einen Hirschen zeigen und ihn als Pferd bezeichnen.[viii] Die wesentliche, unfassbare Leistung Li Sis bleibt jedoch unbestritten: die Schriftsprache wurde vereinheitlicht, wodurch es Angehörigen unterschiedlicher Sprachen der sinitischen Sparchfamilie möglich ist, sich schriftlich zu verständigen, auch wenn sie sich gegenseitig mündlich nicht im geringsten verstehen. So sieht man auch heutzutage, wo in Schulen Mandarin als Bildungssprache vorgeschrieben ist, immer wieder Gesprächspartner gestikulierend Schriftzeichen in die Hand, Luft oder auf Papier malen, um dem Gegenüber seine Aussage zu verdeutlichen.
Der frühe Start der glottonalen Vereinheitlichung hat erst in den letzten 30 Jahren durch die Einführung des Fernsehens an erneutem Moment gewonnen. Die staatlichen Medien der VRC, allen voran die Fernsehsender CCTV, haben dafür gesorgt, dass Mandarin von fast allen Chinesen in der VRC, in Taiwan und Singapur gesprochen oder zumindest verstanden wird. Inzwischen wird auch in chinesischen Überseekolonien eine radikale Zunahme von Mandarinsprechern verzeichnet, womit sich Mandarin als lingua franca durchgesetzt und der chinesische Bildungsminister der 50er Jahre Recht behalten hat:
"Putonghua is the common spoken language of the modern Han group, the lingua franca of all ethnic groups in the country. The standard pronunciation of Putonghua is based on the Beijing dialect, Putonghua is based on the Northern dialects [i.e. the Mandarin dialects], and the grammar policy is modeled after the vernacular used in modern Chinese literary classics."[ix]
Was mich daran stört, ist schlicht die Unehrlichkeit, dass nach dem Gutdünken seriöser Linguisten, die sino-tibetische Sprachfamilie in verschiedene untereinander nicht verständliche Sprachen zerfällt, welche die kommunistische Partei als Dialekte deklariert. Die kommunistische Partei schreibt also nicht nur Geschichte wie sie will, sie definiert auch Humanwissenschaften neu. Und das Volk nimmt es als gegeben hin. Die kommunistische Partei hat mit Hilfe modernen Medien das Projekt, welches Premier Minister Li Si abgestoßen hat, beinahe abgeschlossen. Daß man oft genug zwei Chinesen antrifft, die sich partout nicht in ihrer Muttersprache verständigen können und zu Stift und Papier greifen, um Schriftzeichen zur Verdeutlichung ihres Anliegens niederzumalen, zeigt wiederum auf, dass die Vereinheitlichung noch nicht so weit fortgeschritten ist, wie dies der Fall sein sollte, und es sich bei der sprachlichen Hansierung nachwievor um ein Parteiprojekt in Umsetzungsphase dreht. Während Mandarin bei der gebildeten Stadtbevölkerung wie Ebola um sich greift, ist bei Landeiern, mit wenig Schulbildung nur der lokal gesprochene Dialekt von Bedeutung.
Eine andere Perspektive ist jene des Ausländers, der sich dem Studium der chinesischen Sprache widmet oder einfach nur eine längere Reise durch China unternimmt. Dieser wird mit verschiedenen Bezeichnungen konfrontiert, die allesamt darauf hindeuten, dass die Identität dieser Sprache doch keine klare ist. Während das Deutsche oder das Spanische, klar definierte Begriffe mit einer einschlägigen Semantik sind, überfordert die Terminologie für Chinesisch: Guoyu, Putonghua, Hanyu, Zhongwen, Huayu, Beifanghua, Nanfanghua, Shanghaihua, Sichuanhua, Guangdonghua, Fangyan, Goutonghua, Gongtonghua, etc. Welche dieser Sprachen ist es denn nun? Ohne hier in die Tiefe zu gehen, einigen wir uns darauf, daß Hochchinesisch an Schulen unterrichtet, im staatlichen Fernsehen verwendet und im großen und ganzen im gesamten Land und über die Grenzen hinaus gesprochen wird. Hochchinesisch (wortwörtlich Standardsprache) ist Putonghua. Gleichzusetzen mit Hochdeutsch, welches meines Wissens nach nur im Raum Hannover gesprochen wird, sicherlich nirgends in Südtirol, Österreich oder der Schweiz und nur in wenigen anderen Teilen Deutschlands. Die Dimensionen eines deutschsprachigen Raumes von knapp 100 Millionen Menschen stehen jedoch in keiner Relation zu mehr als 1.5 Milliarden Chinesischsprechern. Es ist einfach nicht richtig, diesen Vergleich zu ziehen, selbst nach mehr als 2000 Jahren versuchter imperialer, republikanischer und kommunistischer Sprachvereinheitlichung. Um sich ein klares Bild von der Sprache Chinas machen zu können, muss der Ausländer nach wie vor China idealerweise mit Europa vergleichen, mit einem Kontinent, der von vielen Völkern mit unterschiedlichen Sprachen bevölkert wird. Denn genau dies trifft auch in China zu. Sicherlich ist Hochchinesisch genauso wie Englisch zur lingua franca geworden, aber zuhause und in der Arbeit, wenn immer der Einsatz der Brückenschlagfunktion einer lingua franca nicht erfordert ist, fällt der Chinese in seinen lokalen Dialekt, in seine lokale Sprache zurück. Hier in Shanghai ist es für mich nach so vielen Jahren der Sprachbildung immer wieder schmerzhaft einsehen zu müssen, dass ich den lokalen Dialekt nicht erlernen werde, da dieser zu weit vom Hochchinesischen entfernt liegt. Daraus ergeben sich nicht zu unterschätzende Nachteile, wie mangelndes Parteiengehör bei Polizeieinvernahmen anlässlich eines Autounfalles oder eines Nachbarschaftsstreites. Gerade bei behördlichem Vorgehen wird ausschließlich Wu Dialekt gesprochen, wodurch eine gerechte Interaktion ausbleibt. Nachdem meine Frau als Mandarin Muttersprachlerin auch jetzt noch, nach vier Jahren in Shanghai, Probleme hat, den lokalen „Dialekt“ zu verstehen, geschweige denn zu sprechen, mache ich mir diese Last nicht allzu schwer, aber es hilft, sich vor Augen zu halten, dass ich in eine wirklich fremde Sprachfamilie eingetaucht bin, deren einzelne Sprachen für mich als Westler allesamt eine große Hürde darstellen.
Um zurück zum Ausgangspunkt dieses Kapitels zu gehen, sehe ich jede Sprachfamilie wie einen erweiterten Rudel, der sich in einzelne Sub-Rudel, sprich Sprachgruppen, aufteilt, die jedoch untereinander, wenn auch trotz mancher Wadenbeißereien, besser kommunizieren können als mit dem Rudel einer anderen Sprachfamilie. So hat das Chinesische sowohl dem Vietnamesisch, wie auch dem Koreanischen und dem Japanischen essentielle Leihstellungen in Vokabular und Schrift gemacht und zählt sowohl Tibetisch als auch Burmesisch zu den Großrudelsangehörigen, sprich Teile derselben Sprachfamilie.[x] Den Blick auf dieses Phänomen hat die Beobachtung Taubstummer geschärft, die trotz aller kulturellen Unterschiede in der Gebärdensprache scheinbar keine nationalen Grenzen kennen. Eine Kommunikation ist international und uneingeschränkt möglich, auch wenn manche Begriffsfeinheiten von Ort zu Ort abweichen. Taubstumme sind durch ihre Art der Kommunikation zu Brückenschlagern geworden, die die Angst des Fremdseins überwinden können. In China wird zwar eifrig Chinesisch gepaukt, aber es scheint mir nicht, dass dies getan wird, um Brücken zu schlagen, sondern um ausländisches Wissen zu verstehen und damit zum glorreichen Aufbau der Volksrepublik beizutragen. Die Regierung versucht zielsicher und effektiv ihr Rudel von allen anderen Rudeln fernzuhalten. Nicht selten passiert es aber, dass diejenigen, die entsandt wurden, um von den fremden Rudeln zu lernen, an diesen Gefallen finden und nicht mehr zurückkommen. Die chinesische Regierung betreibt eine Politik der sprachlichen Rudelreinheit und wird dabei durch die fundamentale Andersartigkeit des Chinesischen unterstützt. So leben wir heutzutage in zwei Welten, jener des Westens und jener des Ostens. Die des Westens hat Englisch als lingua franca adoptiert, jene das Ostens Hochchinesisch. Eindeutig wird dies durch das Internet, wo sich auf chinesischen websites nur wenige Ausländer zurechtfinden, andererseits selbst Englisch beherrschende Chinesen nur selten websites dieser Sprache ansteuern. Gesteuert wird dies von der chinesischen Regierung durch gezielte Untersützung von social media und websearch Firmen. Egal welche software im Westen erfunden wurde, schon bald gibt es einen chinesischen Klon, der von der Regierung bevorzugt behandelt wird. High profile cases sind die Auseinandersetzungen zwischen online Suchmaschinen baidu und google[xi], zwischen facebook und renrenwang, sowie twitter und weibo. Sicherlich haben einige dieser social media Plattformen selbst entwickelte Funktionalitäten, letztlich spielen sie aber alle mit einem Joker: der Sprache, welche von der Zentralregierung als nationalistisches Mittel eingesetzt wird um das Rudel zu einen. Wir sind wir und wir verschanzen uns hinter der great Chinese firewall. Sprache und Zensur als politisches und kommerzielles Druckmittel. Durch das Medium Internet wird die Arbeit Li Sis fortgesetzt und die KPC in ihren nationalistischen Machenschaften wesentlich unterstützt. Noch 1991 schrieb der US amerikanische Linguist Victor H. Mair:
The authoritative, new Language volume16 of the Chinese Encyclopedia divides the Sino-Tibetan language family as follows:
I. Sinitic (Hanyu)
II. Tibeto-Burman group
1. Tibetan branch: a. Tibetan, b. Jiarong, c. Monba
2. Jinghpaw branch
3. Yi branch: a. Yi b. Lisu c. Hani d. Lahu e. Naxi f. Jino
4. Burmese branch: a. Atsi/Zaiwa, b. Achang
5. Branch undetermined: a. Lhoba, b. Deng, c. Drung, d. Nu, e. Tujia, f. Bai, g. Qiang h. Primmi
III. Miao-Yao group
1. Miao branch: a. Miao, b. Bunnu
2. Miao-Yao branch: a. Yao, b. Mian
3. Branch undetermined: a She
IV. Zhuang-Dong group
1. Zhuang-Dai branch: a. Zhuang, b. Bouyei, c. Dai
2. Kam-Sui / Dong-Shui branch: a.Kam, b. Sui, c. Mulam, d. Maonam, e. Lakkja,
3. Li branch: a. Li
4. Gelao branch: a. Gelao
It is most curious that the Tibeto-Burmese, Miao-Yao, and Zhuang-Dong groups are subdivided so extensively into various branches and individual languages within branches, whereas Sinitic -- which has by far the largest number of speakers of the four groups -- is presented as a monolithic whole. It is not even explicitly identified as a group, although its position in the taxonomical chart makes clear that it is. Still more intriguing is the fact that in the Nationalities volume of the Chinese Encyclopedia, Sinitic (Hanyu) is characterized as "analogous/ comparable I equivalent to a language group". This is now a common formulation among linguistic circles in China for designating Hanyu. Well, is Hanyu a language group or is it not. When queried about the reasons for this intentionally vague -- yet highly significant -- wording ("analogous/ comparable I equivalent to a language group"), Chinese scholars have repeatedly and confidentially told me on many occasions that Hanyu -- on purely linguistic grounds alone -- really ought to be considered as a group (yuzu), but that there are "traditional", "political", "nationalistic" and other factors that prevent them from declaring this publicly. […] I would suggest that linguistic science outside of China need not be governed by these factors and, as such, we should feel free to refer directly to Sinitic as a language group comparable to Romance, Germanic, Tibeto-Burmese, Turkic, and so forth. The fact that Sinitic (Hanyu) is ranked parallel to Tibeto-Burman, Miao-Yao, and Zhuang-Dong in the above classification scheme of the Sino-Tibetan language family implies that -- except for non-linguistic criteria -- Chinese scholars themselves virtually accept it as a language group. As with much else in contemporary China, one may think that something is true of language, but one may not necessarily be willing to say that it is so. […] In a private communication of August 9, 1987, Jerry Norman, an eminent specialist of Chinese fangyan, expressed the opinion that the number of mutually unintelligible varieties of Chinese (i.e. Hanyu or modem Sinitic) is probably somewhere between 300 and 400. […] Mair continues to quote a Chinese linguist called Li:
During the past several decades, many linguists, both in China and abroad, have considered Cantonese to be a "fangyan" of Modern Sinitic (Xiandai Hanyu). This is especially true of linguists within China who are in virtually unanimous agreement on this point. In actuality, no matter with regard to phonology, grammar, or lexicon, the differences between Cantonese and Mandarin are enormous. Speakers of Mandarin are quite incapable of understanding Cantonese and vice versa. This is a fact of which everyone is fully aware. Nonetheless, although it is obvious that speakers of Mandarin and Cantonese cannot converse with each other, why is there this insistence that Cantonese is a fangyan" of Modern Sinitic? To my mind, there are but two reasons: 1. the influence of Stalin's discussions on "language" and "dialect"; 2. the imperceptible psychological pressure of "politicolinguistics". Paying heed neither to Stalin nor the heavy hand of politics, Li forges ahead to provide clear statistical proof of the tremendous gap between Cantonese and Mandarin. She even puts forth her own classification scheme for the Sinitic group of languages, which I reproduce here:
SINITIC (see above I.)
I. Sinitic: a. Northern fangyan, b. Xiang (Hunan) fangyan, c. Gan (Kiangsi) fangyan d. Hakka
II. Wu: a. Soochow (Suzhou) fangyan, b. Southern Chekiang (Zhejiang) fangyan
III. Min: a. Northern Min fangyan, b. Southern Min fangyan
IV. Cantonese: a. Canton fangyan, b. Pinghua fangyan, c. Northwest Hainanese fangyan
Hence, pointing at a deer and calling it a horse.[xii] Die chinesische Regierung zeigt auf eine riesige Sprachgruppe, nennt sie aber eine Sprache. In gleicher Manier hat man auch beim 18. Parteikongress gewisse Worte vermieden, das heißt sie duch parteipolitisch konforme Terminologie ersetzt. Es wird absichtlich etwas falsch ausgewiesen.
Jetzt aber unter uns nochmal: der ausländische Sprachlernende taucht wenn er Chinesisch meistern will, nicht nur in eine Sprache ein, sondern in eine Sprachfamilie, deren Hochsprache 1957 als Putonghua in Zeichen und Aussprache, in Pinyin als lateinisierte Umschrift standardisiert wurde. Um ihn herum, und dieses Bewusstsein erleichtert den Schwierigkeitsgrad des Chinesischen zu verstehen, existieren mehrere Sprachen der chinesischen Sprachfamilie. Um wieder eine Analogie zu Europa herbeizuziehen, wär es vergleichsweise nicht verständlich, warum ein Deutscher, der die Fremdsprache Englisch beherrscht, nach Warschau geht, um dort in englischer Sprache zu arbeiten, obwohl um ihn herum alle Polnisch sprechen. Sicherlich sprechen auch alle Kollegen im Büro mehr oder weniger gut Englisch, aber wenn man nicht bereit ist, das Polnische zu lernen, wird man immer an der gesellschaftlichen Oberfläche schwimmen. Genau diese Situation finde ich in Shanghai vor: ich spreche Han, aber um mich herum sprechen die meisten Menschen Wu. Dennoch bin ich in China und wir alle haben so wie etwa in den skandinavischen Ländern dieselbe Sprache auf den Fernsehbildschirmen. 1.3 Milliarden Han stehen Minderheiten von Wu, Min, Gan, etc. Sprechern gegenüber. Wozu synchronisieren? Nur der wirtschaftsstarke Raum um Hongkong konnte sich lange eine sprachliche Identität bewahren, wird aber ebenso zunehmend von Han überrollt, da das Bildungssystem Putonghua als Unterrichtssprache vorschreibt.
Bei einigen geschäftlichen Termine habe ich chinesische Rechtsanwälte, Unternehmer, Beamte, etc kennengelernt, die nur eine ausländische Sprache beherrschten, und war etwas von den polyglott eingeschätzten Chinesen enttäuscht gewesen, bis ich später erkannte, dass sie oft drei sinitischer Sprachen mächtig waren. Es ist nicht unüblich, dass ein chinesischer Unternehmer, der in Peking geboren wurde, in Shanghai sein Studium absolvierte und in Hongkong sein Berufsleben verbringt, sowohl Han, Wu und Yue wie auch geschliffenes Englisch spricht. Bedenkt man nun, dass die sino-tibetische Sprachfamilie von der indo-germanischen Sprachfamilie enorm weit entfernt ist, was Schrift, Phonetik, Grammatik, Syntax und Semantik betrifft, so ist es nachvollziehbar, wenn ich behaupte, dass ich in den vergangenen Jahren sicherlich fünf europäische Sprachen hätte erlernen können anstatt nur Hochchinesisch alleine. Oft werde ich gefragt, wie lange es dauert, so fließend Chinesisch zu erlernen wie ich, und ich antworte stets, daß ich nur für das ungeübte Ohr fließend spreche, da Chinesisch für den Westler mehr als jeder andere mir bekannte Sprache ein Ozean ist, dessen Wasser durch die Kiemen meines Fischseins fließt. Als jemand, der nicht in diesem Gewässer, sprich Kulturkreis, aufgewachsen ist, bleibt ein wirkliches Meistern der Sprache ein hehres Ziel, was sich daran zeigt, dass viele Ausländer selbst nach vielen Jahren im Land nur rudimentäre Sprachkenntnisse entwickelt haben und viele frustriert ihren Lerneifer verlieren, weil sich nur zögerliche Verbesserungen einstellen.
Die chinesische Sprache ist also sehr schwierig zu lernen. Sie ist ein Biest, das nicht gezähmt werden kann. Sie ist ein salziger Ozean, der mir die Kiemen versengt. Es gibt Tage, an denen ich in ruhiger und voller Stimme langsam und kontrolliert meine Worte finde, aber ich gestehe ein, dass meine chinesische Sprachidentität üblicherweise einen hohen und angespannten Ton anschlägt. Alles erfordert in China mehr Energie, nicht nur die Sprache, aber es ist die Sprache, die durch diesen Zustand der ständigen Anspannung als erstes in Mitleidenschaft gezogen wird. All jene, die mehreren Sprachen mehr oder weniger fließend mächtig sind, werden nachvollziehen können, dass man mit dem Erlernen einer Sprache quasi eine Tür in eine neue Identität aufstößt und man dieses neue Individuum, diese neue Facette an sich lieben oder hassen lernen kann. So hat sich das Erlernen meines Pflichtschulenglisch nach einem zweimonatigen summer school Aufenthaltes in Neuengland ungemein schnell, verblüffend einfach, in eine neue, angenehme und coole Identität gegossen. Und selbst heute noch, nach so vielen Jahren finde ich mich am liebsten im Englischen wieder, da mein Gedankenfluss nicht so sturzbachartig wie im Deutschen, sondern ruhig und kontrolliert einherkommt. Aber nicht nur das Wesen der Sprache, sondern auch das Wesen der Gesellschaft, in dem man diese neue Identität erlernt und gewonnen hat, spiegelt sich darin wieder. Aus diesem Grunde ist es richtig, wenn man bei klassischem Griechisch oder Latein von toten Sprachen spricht, denn sie werden erst lebendig, wenn sie exogen von einer diese Sprache sprechenden Gesellschaft befruchtet sind, die neue sprachliche Identität von native speakern zum Leben erweckt wird. Ich bin trotzdem froh darüber, dass ich diese Säulen der europäischen Kultur besser kennenlernen durfte, da sie mir in vielerlei Hinsicht das Erlernen anderer Sprachen vereinfacht haben. So war mein zweiter Schritt in Richtung des hispanophonen Raumes eine Angelegenheit von nur wenigen Monaten Auslandsaufenthalt, durch welchen eine neue, lebensfreudige, urlaubsstimmige, flamencosüchtige Identität geschaffen wurde. Wie ist dies aber nun mit Chinesisch? In all diesen Jahren, in denen ich hier in China verweile, ist meine chinesische Identität zu einem wichtigen Bestandteil meines Wesens geworden. Manche Kollegen schildern mir, dass sie das Gefühl hätten, in mir steckten zwei Personen, wenn sie mich nach einer Unterhaltung in Deutsch am Telefon in Chinesisch gestikulieren sehen. Wesen, Körpersprache, Attitüde, Erwartungshaltungen, Tonfall, Melodie. Alles ändert sich, wenn man von seiner Muttersprache, die in meinem Fall Deutsch ist, ins Chinesische steigt. Resümierend ist zumindest das gesprochene Chinesisch eine sprachliche Identität der Auseinandersetzung, des Konflikts geworden, denn Konflikte sind in China häufiger und heftiger auszutragen als die andernorts der Fall ist. Jeder Behördengang, jeder Handwerkerbesuch endet zumeist in einem Wortgefecht. Gehört wird man in China zumeist nur, wenn man laut ist, und mir scheint, dass oft der Lautere gewinnt. Wenn er nicht Recht hätte, würde er dann so schreien? denkt man sich offenbar. Und würden wir den weiter schreien lassen, vielleicht begehrt er so lange auf, dass wir selbst Probleme bekommen, ist ein durchaus verbreiteter Gedankenfluss bei Beamten, die die Konsequenzen einer Eskalierung zu ihren Vorgesetzten fürchten.
Die Komplexität dieser Sprache teilt sich in den ersten Monaten und manchmal Jahren in zwei Hürden: jener der andersartigen phonetischen Laute, welche in der intensiven Zeit der Sprachübungen bei allen Studenten (außer muttersprachlichen Slawischsprechern, deren Vielzahl an aspirierten Lauten dem Chinesischen sehr ähnlich sind) einen Muskelkater im Mundraum verursachen, und jener des Einstiegs in die anfangs unnahbar scheinende Welt der Schriftzeichen. Hat man diese beiden Probleme halbwegs gemeistert, stellt sich ein Gefühl des Erfolges ein, welches aus meiner Erfahrung nicht lange hält, hat man den Anspruch sich weiterzuentwickeln. Denn wenn auch Chinesisch eine Sprache ist, von der man allgemein sagt, dass sie auf verbaler Ebene leicht zu erlernen ist, da ohne komplexer Grammatik, ohne Deklination und Konjugation, findet man bald heraus, dass die Grammatik keinen klaren, uns vertrauten Regeln unterliegt, sondern vielmehr aus einer unübersehbaren Kasuistik besteht. Hat man diese kasuistische Grammatik einmal in Basisstrukturen in seinen bereits müden Kopf gebracht und sich diese Leistung eventuell durch das erfolgreiche Bestehen eines 汉语水平考试hanyu Shuiping Kaoshi[xiii] bestätigen lassen, dann beginnt die harte Realität des Lebens, die einem tagtäglich vor Augen führt, dass man nun zwar die Grundlagen der Sprachbeherrschung hinter sich gebracht hat, aber vor einem ein Universum von kulturellen Bezugspunkten liegt, mit denen man schlicht nichts assoziieren kann. Es ist aber gerade diese kulturelle Assoziationsfähigkeit, dies es uns einfach(er) macht, Englisch, Französisch oder auch Russisch zu lernen. Letztlich sind wir, die wir aus dem Westen stammen, Kinder des Abendlandes. So wird ein jeder mehr oder weniger leidenschaftliche Chinesischstudent irgendwann einmal zu einem ausgewachsenen Sinologen, der über Geschichte und Kultur des Landes oft mehr weiß als die meisten Einheimischen. Trotzdem sind Sprichwörter, sogenannte 成语chengyu wie das eben zititere „Auf einen Hirschen zeigen und ihn ein Pferd nennen“ mit denen gerade gebildete Chinesen gerne ihre Sätze schmücken, dem 老外laowai nicht mit der Muttermilch in die Wiege gelegt worden und nur wenige schaffen es dieses Sprachniveau zu meistern. Mich freut es, wenn ich am Telefon chinesische Anrufer eine Zeit lang täuschen kann und sie erst nach einigen Minuten Gespräch fragen, ob ich Ausländer bin. Es beschämt mich mittlerweile, dass viele Chinesen meine Aussprache als die eines Shandong Chinesen empfinden, da ich herausgefunden habe, dass Shandong Chinesen vom Rest des Landes als undeutliche Nuschler empfunden werden. Aber all dies sind nur Teile eines Mosaiks einer Sprachbeherrschung, die nie eine sein wird, und womit die Sprache zu der wesentlichen Hürde zur wirklichen Integration in dieses Land wird. Ich kann mich nach 12 Jahren nicht an einen einzigen Traum erinnern, welchen ich in Chinesisch geträumt hätte. In den USA waren dafür nur wenige Wochen ausreichend. Viel wird über das Schriftmedium bewirkt, das heißt dem Lesen und Schreiben, welches sich meiner Erfahrung nach auf tieferen Ebenen des Bewusstseins festsetzt als das rein gesprochene Wort. Zum Schreiben bin ich nach einem langen Arbeitstag meist zu faul, zum Lesen komme ich ebenso nur während der Bürozeiten, wo ich jeden Tag dutzende deutsch-, englisch- und chinesischsprachige emails abarbeiten muss. Der intellektuell anspruchsvolle Mensch, der in seinen Lebenskräften durch einen Brotberuf geschwächt wird, sinkt daher im Chinesischen langsam ab beziehungsweise schafft es nicht sein Sprachniveau zu verbessern, ähnlich einem türkischen Gastarbeiter in Deutschland, der sich nach 30 Jahren noch immer nur in Baustellenvokabular artikulieren kann. Ein wiederkehrendes Beispiel dafür sind berufstätige Westler, die für einige Jahre nach China kommen, es aber nicht schaffen, neben ihrer Arbeit Chinesisch zu erlernen. Es handelt sich dabei um einen full time job, für den man sich zumindest ein Jahr Auszeit gönnen muß, und sich danach wahrscheinlich fragt, und? Wofür hab ich das nun gemacht? Ein Jahr war zu kurz, ich brauch noch mindestens drei weitere. Und so sitzt man dann in jenem Boot, welches auch ich bestiegen habe, und welches mich nunmehr an China bindet: das große Investment an eigener Zeit. Denn man treibt sich weiter an, um nicht als türkischer Zementmischer in China zu enden. Die türkischen Zementmischer Chinas, sind keine Ausländer, sondern sogenannte Wanderarbeiter, 民工mingong , welche aus den ärmeren Teilen des riesen Landes in die Ballungszentren strömen, um dort ihre kärglichen Existenzen zu verbessern. Die meisten Ausländer, die sich in China länger aufhalten sind hochqualifizierte Experten, da China selbstverständlich genügend Ressourcen an billigen Arbeitskräften besitzt. Nichtsdestotrotz sehe ich mich hinsichtlich gesellschaftlicher Integration und Sprachbeherrschung als 民工mingong, 老外民工laowai mingong, als ausländischer Gastarbeiter.
Zum Thema Sprache drängt sich mir noch ein anderer Zusammenhang auf. Vieles an China ist mit einer gewaltigen Ambivalenz verbunden, wie etwa die Gesellschaft einerseits herausfordernd und interessant, andererseits abstoßend und befremdlich ist. Was die Sprache betrifft, so ist diese Ambivalenz ebenfalls ein Grund einerseits an ihr interessiert zu bleiben, andererseits ebenso ein guter Grund, ihr den Rücken zu kehren. Nach all diesen Jahren, bin ich noch immer von den Schriftzeichen fasziniert und wundere mich oft über die Genialität der Menschen, die vor hunderten von Jahren diese Piktogramme erfunden haben. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich auch viele Künstler vom Chinesischen angezogen fühlen und sich inspirieren lassen. Andererseits sind all jene weiter oben aufgezeigten Aspekte, Grund dafür, daß das Chinesische immer fremd bleiben wird und mit Ausnahme jener gesegneten Kinder, die bilingual aufwachsen, die Menschheit teilt. Wird sich China so weiterentwickeln, dann wird es ähnlich dem Englischen, die Welt in jene Menschen teilen, die den sprachlichen Code Chinas verstehen können und somit ähnlich wie in den USA an den neuesten Trends, Nachrichten, Produkten, etc. aus erster Hand partizipieren, und jene, die darauf angewiesen sind, Information aus zweiter Hand zu erhalten.
Ich will noch etwas mehr auf die Genialität der Schriftzeichen eingehen und ein paar Beispiele einbringen, um diese zu illustrieren. Schriftzeichen unterliegen im Aufbau quasi einer Dreistufigkeit, welche sich als fünf Grundstricharten[xiv], 213 Radikale[xv] und daraus resultierenden mehr als 50000 Schriftzeichen darstellt. Jedes Schriftzeichen besteht in seiner Struktur aus zumindest einer Strichart und kann aus einem oder mehreren Radikalen bestehen. Radikale sind quasi Schriftzeichen im Schriftzeichen, die einer wiederkehrenden und gleichbleibenden Bedeutung unterliegen. Einige Radikale können auch selbst Schriftzeichen sein. Somit kann man mit der Beherrschung der 213 Radikale in einer ungleich größeren Anzahl von Schriftzeichen eine Bedeutung erahnen auch wenn die genaue Bedeutung bzw die Aussprache nicht bekannt ist. Ein Radikal ist somit ähnlich einem Wortstamm in der deutschen Sprache, nur dass es piktographisch die jeweilige Bedeutung vermittelt. Nehmen wir zum Beispiel das Wort zeichnen, so lassen sich aus diesem Wortstamm viele abgeleitete Worte bilden, wie Zeichensatz, aufzeichnen, Zeichnung, gezeichnet, Umzeichnung, abzeichnen, niederzeichnen, ausgezeichnet, etc., welche wir in Bedeutung teilweise verstehen, wenn wir den Wortstamm verstehen. Genauso verhält es sich mit den Radikalen. Verstehe ich beispielsweise das Radikal für Wasser, 水shui, so verstehe ich, dass alle Schriftzeichen, die dieses Radikal beinhalten mit Wasser in Verbindung stehen: schwimmen 游泳 youyong, tauchen 潜水 qianshui, Fluß 河流 heliu, etc.
Während eine Vielzahl von Schriftzeichen eine Kombination aus phonetischem Radikal und Bedeutungsradikal sind, gibt es auch solche, und es sind zumeist Schriftzeichen, die sich über die Jahrhunderte nicht verändert haben, die nur aus Bedeutungsradikalen bestehen. Es sind diese Schriftzeichen, deren Studium zu Erleuchtungsmomenten und Aha-Erlebnissen führt. Das Schriftzeichen you又 hat als Radikal die Bedeutung einer Hand, setzt man es neben das Radikal nü 女, welches für sich genommen ebensfalls Schriftzeichen sein kann und Frau bedeutet, ergibt sich ein neues Schriftzeichen, nu 奴,das Sklave bedeutet. Nun läßt sich daraus folgern, dass die chinesische Gesellschaft vor mehreren hundert Jahren auch in geistigen Welt jener Gelehrten, die diese gedanklichen Bilder erstmals niedergeschrieben haben, heutzutage als sexistisch betrachtet werden muss. Die Hand, welche Macht, Kontrolle, Herrschaft über eine Frau, ein weibliches Wesen ausübt bedeutet Sklave. Sklaven waren also in ihrer ursprünglichen From Frauen im Besitz, in der Hand von Männern, und erst im Laufe der Zeit dürfte sich dieser Begriff auch auf männliche Sklaven unterjochter Kriegsgegner ausgedehnt haben.
Fügt man dem Schriftzeichen nu 奴 ein weiteres Radikal hinzu, nämlich 心xin, welches Herz bedeutet,so ergibt sich ein weiteres interessantes Schriftzeichen, 怒 welches ebenfalls nu, aber in anderer Betonung ausgesprochen wird. 怒 steht für Affekt, Zorn, Wut, wodurch uns vor Augen geführt wird, dass jemand im Banne seines Zornes, Sklave seines Herzens ist. Erst wenn er sich vom Joch des Affektes befreit, kann er wieder zu sich selbst zurückkehren.
Ein anderes Schriftzeichen, welches mich besonders fasziniert hat, ist 满man. 满 wird im modernen Hochchinesisch nicht mehr alleinstehend verwendet, sonder kommt zumeist als Teil des Wortes 满意 manyi vor, welches Zufriedensein bedeutet. 满für sich genommen, bedeutet voll, genug, genügend. Zerteilt man das Schrifzeichen in seine Radikale, so findet man das oben bereits beschriebene Radikal für Wasser auf der linken Seite, das Radikal für Gras, Gemüse obenauf, und das Radikal für Zweisamkeit auf der rechten Seite. Zugegebener Maßen bedarf es etwas Interpretation, aber die Logik hinter dem Schriftzeichen liegt auf der Hand: der Mensch benötigt Wasser, Gemüse und einen Lebenspartner, um genug zu haben, also glücklich zu sein.
Ein anderes Beispiel ist das traditionelle Schriftzeichen für Ameise, 蟻 yi, dessen Bedeutung durch die 1957 durchgeführte Vereinfachung der Schriftsprache, verloren gegangen ist und heute wohl nur mehr älteren Chinesen bzw Taiwanesen und Hongkong Chinesen bewußt ist, da diese die traditionellen Schriftzeichen im Gegensatz zum kommunistischen China weiterhin pflegen. 蟻 yi wurde zu 蚁 simplifiziert und wie viele Worte mit einem zweiten Schriftzeichen zu 蚂蚁 mayi verbunden. 蟻 yi setzt sich ursprünglich aus zwei Radikalen zusammen, wobei das linke Radikal für Insekt steht, das rechte Radikal jedoch für Gerechtigkeit, Loyalität und Uneigennützigkeit. Ohne Zweifel hatten die Schöpfer dieses Wortes die Spezies Ameise intensiv beobachtet und waren von der Fähigkeit sich einem größeren Zweck, jenem des Wohlergehens der Gesellschaft, des eigenen Volkes, unterordnen zu können, zutiefst im positiven Sinne beeindruckt gewesen. Daß die Ameise noch nicht als nationalistisches Vehikel von der kommunistischen Partei verunglimpft wurde, wundert mich an dieser Stelle, der Verweis auf den Animationsfilm Antz[xvi] darf aber nochmals gemacht werden. Die hiermit beschriebene Genialität, welche in vielen Schriftzeichen zu finden ist wurde auch in einem Sprichwort verankert: 字形藏理 zi xing cang li, die Logik der Worte liegt in ihrer Form verborgen.[xvii]
Der Genialität der chinesischen Schriftsprache meinen Respekt zollend, frustriert mich die Sprache als Mittel der gesellschaftlichen Integration stets, da ich mittlerweile akzeptiert habe, dass ich im Chinesischen – auch wenn es fließend klingt und für jede oberflächliche wie auch geschäftliche Konversation ausreicht – nie jene Tiefe erreichen werde, die für mich intellektuelle Befriedigung auslöst. Ich werde immer an der Oberfläche bleiben, was für einen Menschen, der an komplexeren Vorgängen sowohl psychologischer, soziologischer, politischer und anderer Natur interessiert ist zu einem hohlen Dasein führt. Man lebt gleich einem etwas zurückgebliebenen, sozusagen wie ein foreign retard, also wie ein Gastarbeiter, der nie die Zeit hatte, die Sprache des Gastlandes wirklich zu verinnerlichen und dadurch an Themen die mehr Verstand als Muskeln gebrauchen, eingehend zu partizipieren. Dieses sprachliche Defizit auf meiner Seite und der resultierende Mangel an Integration ist durchaus ein wesentlicher Grund, warum ich in China nicht auf Dauer bleiben kann. Ein anderes chinesisches Sprichwort sagt fallende Blätter folgen den Wurzeln[xviii], in meinem Fall kann dies bedeuten, dass ich wieder dortin zurückkehre, wo ich geboren wurde, um mich sprachlich wieder voll integrieren und am politischen, literarischen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.
[i] http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GS36301;
[ii] http://de.wiktionary.org/wiki/Sprache
[iii] Steven Pinker: How the Mind Works, The Language Instinct
[iv] Richard David Precht: Wer bin ich und wenn ja, wie viele? p108f
[v] Fraans de Waal: Der Affe in uns
[vi] http://en.wikipedia.org/wiki/Li_Si
[vii] Lin Yutang: My Country and My People, p211f
[viii] 指鹿为马 (zhi lu wei ma)
[ix] http://en.wikipedia.org/wiki/Putonghua
[x] http://en.wikipedia.org/wiki/Sino-Tibetan_languages
[xi] http://www.nytimes.com/2010/01/14/technology/companies/14baidu.html; http://digimind.com/blog/report/infographic-baidu-vs-google-is-the-battle-already-lost-for-google/
[xii] 指鹿为马 / zhi lu wei ma / pointing at a deer and calling it a horse = deliberatedly confounding right and wrong
[xiii] http://english.hanban.org/node_8002.htm; http://en.wikipedia.org/wiki/Hanyu_Shuiping_Kaoshi#Former_structure_.28before_2010.29
[xiv] Diese fünf Grundstricharten sind: Punktstrich, nach links abfallender Strich, nach rechts abfallender Strich, verikaler Strich und horizontaler Strich
[xv] Der Begriff Radikal wurde von Sinologen in Belehnung des lateinischen Wortes für Wurzel, radex, eingeführt.
[xvi] http://www.imdb.com/title/tt0120587/
[xvii] Siehe dazu auch Adeline Yen Mah: 守株待兔shou zhu dai tu Watching the Tree to Catch a Hare
[xviii] fallende Blätter folgen den Wurzeln: 落叶归根 lou ye gui gen
Unter diesem auf der Hand liegenden Gesichtspunkt betrachtet ist es nicht verwunderlich, dass chinesische Herrscher schon früh eine Notwendigkeit sahen, das Rudel durch eine Sprache zu einigen und somit dem heutigen Nationalismus das wohl wichtigste Identifikationsmerkmal zu geben. Als Premierminister Li Si[vi] unter Chinas erstem Kaiser Qinshi Huangdi vor mehr als 2000 Jahren eine vereinheitlichte chinesische Schrift im gesamten Reich einführte waren die Adelshäuser Europas im vielleicht gar nicht mal übertragenen Sinne damit beschäftigt von Bäumen runter und aus Höhlen rauszukommen. Je länger ich jedoch in China lebe, desto unfassbarer wird die Leistung, die hiermit erbracht wurde. Die sinophone Welt umfasst gegenwärtig geschätzte 1.6 Milliarden chinesische Muttersprachler, von denen wiederum etwa 1.3 Milliarden derselben Dialektgruppe, dem Mandarin, zugeordnet werden. Mandarin hatte sich bei einer politischen Abstimmung über die verbale Zukunft der Volksrepublik nur knapp gegen den in Shanghai und Umgebung gesprochenen Wu Dialekt durchgesetzt, was ich manchmal bedauere, da der Wu Dialekt, dem Japanischen in Melodie ähnlich, schöner klingt als Mandarin. Der Yue Dialekt, der vornehmlich in Guangdong und Hongkong aber auch zumeist in den chinesischen Überseegemeinden von Vancouver, Toronto und San Francisco gesprochen wird, grenzt überhaupt an gesanghafter Poesie und ist daher trotz einer kleiner werdenden kantonesischen Bevölkerungsgruppe immer noch fest verankerte Ausdrucksform für Kunst und Musik. Wie auch in Europa scheint es in China ein Nord-Südgefälle in der phonetischen Sensibilität der lokal entstandenen Sprachen zu geben. Der deutschen Sprache, welche ich gerne mit dem Mandarin vergleiche, wird Kopflastigkeit und regelrechte Eignung zum philosophischen Diskurs zugeschrieben, während Französisch, Italienisch und Spanisch von vielen als Sprachen der Kunst, Ästhetik und Emotion gesehen werden. Ebenso haben die nördlichen Dialekte Chinas eher Bürokratie und konfuzianische Analekten hervorgebracht, als eine umfangreiche Lyrik und Cineastik, für welche vor allem Kantonesisch verantwortlich zeichnet.
Lin Yutang zeigt einen weiteren Interessanten Aspekt auf, der mit der monosyllabischen Struktur des Chinesischen zusammenhängt. Nachdem die gesprochene Sprache vor der geschriebenen existiert hat, ist das ursprünglich gesprochene Chinesisch Grund dafür, dass sich die Schriftsprache in eine piktographische entwickelt hat. [vii] Eine gesprochene Sprache, welche aus nur 414 Silben besteht, kann nicht durch 24 oder 26 abstrakten Buchstaben abgebildet werden, da die Buchstaben nicht ausreichen würden, um die verschiedenen semantischen Konzepte, die hinter einem jeden Wort stehen zu verdeutlichen. So hat das Chinesische dutzende Schriftzeichen, die allesamt yi ausgesprochen werden, aber Unterschiedlichstes beschreiben. Ein jeder Chinesischlernende kennt die klassische Betonungsübung ma1 蚂ma2 妈 ma3 马 ma4 骂,also ein ma, welches einmal gleichbleibend hoch, einmal ansteigend, einmal fallend und wieder ansteigend und einmal abfallend ausgesprochen wird, aber 1.Ameise, 2. Mutter, 3. Pferd, 4.fluchen bedeutet. Schriftzeichen waren eine logische Konsequenz, diese Silbenbeschränkung eindeutig und verständlich abzubilden. Lin Yutang folgert aus diesem Umstand, daß auch die chinesische Denktradition zum Konservatismus hin beeinflusst wurde. Einmal niedergeschriebene Gedanken wurden in einer Art literarischen Vererbung über Generationen von Gelehrten weitergegeben ohne sie umzuschreiben oder neu zu formulieren. Die Schriftsprache entwickelte sich somit immer weiter von der gesprochenen Sprache weg und führte dazu, dass selbst zu Beginn des 20. Jahrhundert nur eine kleine Elite, vergleichbar mit jenen europäischen Gelehrten des Mittelalters, die Latein für Politik und Wissenschaft verwendeten, der Schriftsprache mächtig war. Lin Yutang mutmaßt (im Jahr 1935!) sogar, daß die Obrigkeitshörigkeit und Erduldsamkeit des chinesischen Volkes mit seiner Sprache in Zusammenhang steht und folgert, dass eine der indo-germanischen Sprachfamilie ähnliche Sprache, selbst die statische Lehre Konfizius erschüttert hätte und somit auf das Heute umgelegt auch die Authorität der KPC untergraben würde.
Durch diesen Vergleich zwischen Europa und China wird eines deutlich: unter Qinshi Huangdi wurde zwar der Versuch unternommen, die Sprachen zu vereinheitlichen, gelungen ist jedoch nur die Einführung einer einheitlichen Schriftsprache und einer Terminologie, die untereinander unverständliche Sprachen nicht als solche bezeichnet, sondern alle Sprachen zu Dialekten einer Sprachfamilie werden läßt. Aus der Perspektive des chinesischen Bürgers macht dies einen großen Unterschied: wir sprechen unterschiedliche Dialekte derselben Sprache. Oder: wir sprechen alle unterschiedlicher Sprachen derselben Sprachfamilie. Die bewusste Steuerung der Terminologie ist ein Merkmal des chinesischen Nationalismus und läßt mich immer wieder an ein herrliches Sprichwort denken: Auf einen Hirschen zeigen und ihn als Pferd bezeichnen.[viii] Die wesentliche, unfassbare Leistung Li Sis bleibt jedoch unbestritten: die Schriftsprache wurde vereinheitlicht, wodurch es Angehörigen unterschiedlicher Sprachen der sinitischen Sparchfamilie möglich ist, sich schriftlich zu verständigen, auch wenn sie sich gegenseitig mündlich nicht im geringsten verstehen. So sieht man auch heutzutage, wo in Schulen Mandarin als Bildungssprache vorgeschrieben ist, immer wieder Gesprächspartner gestikulierend Schriftzeichen in die Hand, Luft oder auf Papier malen, um dem Gegenüber seine Aussage zu verdeutlichen.
Der frühe Start der glottonalen Vereinheitlichung hat erst in den letzten 30 Jahren durch die Einführung des Fernsehens an erneutem Moment gewonnen. Die staatlichen Medien der VRC, allen voran die Fernsehsender CCTV, haben dafür gesorgt, dass Mandarin von fast allen Chinesen in der VRC, in Taiwan und Singapur gesprochen oder zumindest verstanden wird. Inzwischen wird auch in chinesischen Überseekolonien eine radikale Zunahme von Mandarinsprechern verzeichnet, womit sich Mandarin als lingua franca durchgesetzt und der chinesische Bildungsminister der 50er Jahre Recht behalten hat:
"Putonghua is the common spoken language of the modern Han group, the lingua franca of all ethnic groups in the country. The standard pronunciation of Putonghua is based on the Beijing dialect, Putonghua is based on the Northern dialects [i.e. the Mandarin dialects], and the grammar policy is modeled after the vernacular used in modern Chinese literary classics."[ix]
Was mich daran stört, ist schlicht die Unehrlichkeit, dass nach dem Gutdünken seriöser Linguisten, die sino-tibetische Sprachfamilie in verschiedene untereinander nicht verständliche Sprachen zerfällt, welche die kommunistische Partei als Dialekte deklariert. Die kommunistische Partei schreibt also nicht nur Geschichte wie sie will, sie definiert auch Humanwissenschaften neu. Und das Volk nimmt es als gegeben hin. Die kommunistische Partei hat mit Hilfe modernen Medien das Projekt, welches Premier Minister Li Si abgestoßen hat, beinahe abgeschlossen. Daß man oft genug zwei Chinesen antrifft, die sich partout nicht in ihrer Muttersprache verständigen können und zu Stift und Papier greifen, um Schriftzeichen zur Verdeutlichung ihres Anliegens niederzumalen, zeigt wiederum auf, dass die Vereinheitlichung noch nicht so weit fortgeschritten ist, wie dies der Fall sein sollte, und es sich bei der sprachlichen Hansierung nachwievor um ein Parteiprojekt in Umsetzungsphase dreht. Während Mandarin bei der gebildeten Stadtbevölkerung wie Ebola um sich greift, ist bei Landeiern, mit wenig Schulbildung nur der lokal gesprochene Dialekt von Bedeutung.
Eine andere Perspektive ist jene des Ausländers, der sich dem Studium der chinesischen Sprache widmet oder einfach nur eine längere Reise durch China unternimmt. Dieser wird mit verschiedenen Bezeichnungen konfrontiert, die allesamt darauf hindeuten, dass die Identität dieser Sprache doch keine klare ist. Während das Deutsche oder das Spanische, klar definierte Begriffe mit einer einschlägigen Semantik sind, überfordert die Terminologie für Chinesisch: Guoyu, Putonghua, Hanyu, Zhongwen, Huayu, Beifanghua, Nanfanghua, Shanghaihua, Sichuanhua, Guangdonghua, Fangyan, Goutonghua, Gongtonghua, etc. Welche dieser Sprachen ist es denn nun? Ohne hier in die Tiefe zu gehen, einigen wir uns darauf, daß Hochchinesisch an Schulen unterrichtet, im staatlichen Fernsehen verwendet und im großen und ganzen im gesamten Land und über die Grenzen hinaus gesprochen wird. Hochchinesisch (wortwörtlich Standardsprache) ist Putonghua. Gleichzusetzen mit Hochdeutsch, welches meines Wissens nach nur im Raum Hannover gesprochen wird, sicherlich nirgends in Südtirol, Österreich oder der Schweiz und nur in wenigen anderen Teilen Deutschlands. Die Dimensionen eines deutschsprachigen Raumes von knapp 100 Millionen Menschen stehen jedoch in keiner Relation zu mehr als 1.5 Milliarden Chinesischsprechern. Es ist einfach nicht richtig, diesen Vergleich zu ziehen, selbst nach mehr als 2000 Jahren versuchter imperialer, republikanischer und kommunistischer Sprachvereinheitlichung. Um sich ein klares Bild von der Sprache Chinas machen zu können, muss der Ausländer nach wie vor China idealerweise mit Europa vergleichen, mit einem Kontinent, der von vielen Völkern mit unterschiedlichen Sprachen bevölkert wird. Denn genau dies trifft auch in China zu. Sicherlich ist Hochchinesisch genauso wie Englisch zur lingua franca geworden, aber zuhause und in der Arbeit, wenn immer der Einsatz der Brückenschlagfunktion einer lingua franca nicht erfordert ist, fällt der Chinese in seinen lokalen Dialekt, in seine lokale Sprache zurück. Hier in Shanghai ist es für mich nach so vielen Jahren der Sprachbildung immer wieder schmerzhaft einsehen zu müssen, dass ich den lokalen Dialekt nicht erlernen werde, da dieser zu weit vom Hochchinesischen entfernt liegt. Daraus ergeben sich nicht zu unterschätzende Nachteile, wie mangelndes Parteiengehör bei Polizeieinvernahmen anlässlich eines Autounfalles oder eines Nachbarschaftsstreites. Gerade bei behördlichem Vorgehen wird ausschließlich Wu Dialekt gesprochen, wodurch eine gerechte Interaktion ausbleibt. Nachdem meine Frau als Mandarin Muttersprachlerin auch jetzt noch, nach vier Jahren in Shanghai, Probleme hat, den lokalen „Dialekt“ zu verstehen, geschweige denn zu sprechen, mache ich mir diese Last nicht allzu schwer, aber es hilft, sich vor Augen zu halten, dass ich in eine wirklich fremde Sprachfamilie eingetaucht bin, deren einzelne Sprachen für mich als Westler allesamt eine große Hürde darstellen.
Um zurück zum Ausgangspunkt dieses Kapitels zu gehen, sehe ich jede Sprachfamilie wie einen erweiterten Rudel, der sich in einzelne Sub-Rudel, sprich Sprachgruppen, aufteilt, die jedoch untereinander, wenn auch trotz mancher Wadenbeißereien, besser kommunizieren können als mit dem Rudel einer anderen Sprachfamilie. So hat das Chinesische sowohl dem Vietnamesisch, wie auch dem Koreanischen und dem Japanischen essentielle Leihstellungen in Vokabular und Schrift gemacht und zählt sowohl Tibetisch als auch Burmesisch zu den Großrudelsangehörigen, sprich Teile derselben Sprachfamilie.[x] Den Blick auf dieses Phänomen hat die Beobachtung Taubstummer geschärft, die trotz aller kulturellen Unterschiede in der Gebärdensprache scheinbar keine nationalen Grenzen kennen. Eine Kommunikation ist international und uneingeschränkt möglich, auch wenn manche Begriffsfeinheiten von Ort zu Ort abweichen. Taubstumme sind durch ihre Art der Kommunikation zu Brückenschlagern geworden, die die Angst des Fremdseins überwinden können. In China wird zwar eifrig Chinesisch gepaukt, aber es scheint mir nicht, dass dies getan wird, um Brücken zu schlagen, sondern um ausländisches Wissen zu verstehen und damit zum glorreichen Aufbau der Volksrepublik beizutragen. Die Regierung versucht zielsicher und effektiv ihr Rudel von allen anderen Rudeln fernzuhalten. Nicht selten passiert es aber, dass diejenigen, die entsandt wurden, um von den fremden Rudeln zu lernen, an diesen Gefallen finden und nicht mehr zurückkommen. Die chinesische Regierung betreibt eine Politik der sprachlichen Rudelreinheit und wird dabei durch die fundamentale Andersartigkeit des Chinesischen unterstützt. So leben wir heutzutage in zwei Welten, jener des Westens und jener des Ostens. Die des Westens hat Englisch als lingua franca adoptiert, jene das Ostens Hochchinesisch. Eindeutig wird dies durch das Internet, wo sich auf chinesischen websites nur wenige Ausländer zurechtfinden, andererseits selbst Englisch beherrschende Chinesen nur selten websites dieser Sprache ansteuern. Gesteuert wird dies von der chinesischen Regierung durch gezielte Untersützung von social media und websearch Firmen. Egal welche software im Westen erfunden wurde, schon bald gibt es einen chinesischen Klon, der von der Regierung bevorzugt behandelt wird. High profile cases sind die Auseinandersetzungen zwischen online Suchmaschinen baidu und google[xi], zwischen facebook und renrenwang, sowie twitter und weibo. Sicherlich haben einige dieser social media Plattformen selbst entwickelte Funktionalitäten, letztlich spielen sie aber alle mit einem Joker: der Sprache, welche von der Zentralregierung als nationalistisches Mittel eingesetzt wird um das Rudel zu einen. Wir sind wir und wir verschanzen uns hinter der great Chinese firewall. Sprache und Zensur als politisches und kommerzielles Druckmittel. Durch das Medium Internet wird die Arbeit Li Sis fortgesetzt und die KPC in ihren nationalistischen Machenschaften wesentlich unterstützt. Noch 1991 schrieb der US amerikanische Linguist Victor H. Mair:
The authoritative, new Language volume16 of the Chinese Encyclopedia divides the Sino-Tibetan language family as follows:
I. Sinitic (Hanyu)
II. Tibeto-Burman group
1. Tibetan branch: a. Tibetan, b. Jiarong, c. Monba
2. Jinghpaw branch
3. Yi branch: a. Yi b. Lisu c. Hani d. Lahu e. Naxi f. Jino
4. Burmese branch: a. Atsi/Zaiwa, b. Achang
5. Branch undetermined: a. Lhoba, b. Deng, c. Drung, d. Nu, e. Tujia, f. Bai, g. Qiang h. Primmi
III. Miao-Yao group
1. Miao branch: a. Miao, b. Bunnu
2. Miao-Yao branch: a. Yao, b. Mian
3. Branch undetermined: a She
IV. Zhuang-Dong group
1. Zhuang-Dai branch: a. Zhuang, b. Bouyei, c. Dai
2. Kam-Sui / Dong-Shui branch: a.Kam, b. Sui, c. Mulam, d. Maonam, e. Lakkja,
3. Li branch: a. Li
4. Gelao branch: a. Gelao
It is most curious that the Tibeto-Burmese, Miao-Yao, and Zhuang-Dong groups are subdivided so extensively into various branches and individual languages within branches, whereas Sinitic -- which has by far the largest number of speakers of the four groups -- is presented as a monolithic whole. It is not even explicitly identified as a group, although its position in the taxonomical chart makes clear that it is. Still more intriguing is the fact that in the Nationalities volume of the Chinese Encyclopedia, Sinitic (Hanyu) is characterized as "analogous/ comparable I equivalent to a language group". This is now a common formulation among linguistic circles in China for designating Hanyu. Well, is Hanyu a language group or is it not. When queried about the reasons for this intentionally vague -- yet highly significant -- wording ("analogous/ comparable I equivalent to a language group"), Chinese scholars have repeatedly and confidentially told me on many occasions that Hanyu -- on purely linguistic grounds alone -- really ought to be considered as a group (yuzu), but that there are "traditional", "political", "nationalistic" and other factors that prevent them from declaring this publicly. […] I would suggest that linguistic science outside of China need not be governed by these factors and, as such, we should feel free to refer directly to Sinitic as a language group comparable to Romance, Germanic, Tibeto-Burmese, Turkic, and so forth. The fact that Sinitic (Hanyu) is ranked parallel to Tibeto-Burman, Miao-Yao, and Zhuang-Dong in the above classification scheme of the Sino-Tibetan language family implies that -- except for non-linguistic criteria -- Chinese scholars themselves virtually accept it as a language group. As with much else in contemporary China, one may think that something is true of language, but one may not necessarily be willing to say that it is so. […] In a private communication of August 9, 1987, Jerry Norman, an eminent specialist of Chinese fangyan, expressed the opinion that the number of mutually unintelligible varieties of Chinese (i.e. Hanyu or modem Sinitic) is probably somewhere between 300 and 400. […] Mair continues to quote a Chinese linguist called Li:
During the past several decades, many linguists, both in China and abroad, have considered Cantonese to be a "fangyan" of Modern Sinitic (Xiandai Hanyu). This is especially true of linguists within China who are in virtually unanimous agreement on this point. In actuality, no matter with regard to phonology, grammar, or lexicon, the differences between Cantonese and Mandarin are enormous. Speakers of Mandarin are quite incapable of understanding Cantonese and vice versa. This is a fact of which everyone is fully aware. Nonetheless, although it is obvious that speakers of Mandarin and Cantonese cannot converse with each other, why is there this insistence that Cantonese is a fangyan" of Modern Sinitic? To my mind, there are but two reasons: 1. the influence of Stalin's discussions on "language" and "dialect"; 2. the imperceptible psychological pressure of "politicolinguistics". Paying heed neither to Stalin nor the heavy hand of politics, Li forges ahead to provide clear statistical proof of the tremendous gap between Cantonese and Mandarin. She even puts forth her own classification scheme for the Sinitic group of languages, which I reproduce here:
SINITIC (see above I.)
I. Sinitic: a. Northern fangyan, b. Xiang (Hunan) fangyan, c. Gan (Kiangsi) fangyan d. Hakka
II. Wu: a. Soochow (Suzhou) fangyan, b. Southern Chekiang (Zhejiang) fangyan
III. Min: a. Northern Min fangyan, b. Southern Min fangyan
IV. Cantonese: a. Canton fangyan, b. Pinghua fangyan, c. Northwest Hainanese fangyan
Hence, pointing at a deer and calling it a horse.[xii] Die chinesische Regierung zeigt auf eine riesige Sprachgruppe, nennt sie aber eine Sprache. In gleicher Manier hat man auch beim 18. Parteikongress gewisse Worte vermieden, das heißt sie duch parteipolitisch konforme Terminologie ersetzt. Es wird absichtlich etwas falsch ausgewiesen.
Jetzt aber unter uns nochmal: der ausländische Sprachlernende taucht wenn er Chinesisch meistern will, nicht nur in eine Sprache ein, sondern in eine Sprachfamilie, deren Hochsprache 1957 als Putonghua in Zeichen und Aussprache, in Pinyin als lateinisierte Umschrift standardisiert wurde. Um ihn herum, und dieses Bewusstsein erleichtert den Schwierigkeitsgrad des Chinesischen zu verstehen, existieren mehrere Sprachen der chinesischen Sprachfamilie. Um wieder eine Analogie zu Europa herbeizuziehen, wär es vergleichsweise nicht verständlich, warum ein Deutscher, der die Fremdsprache Englisch beherrscht, nach Warschau geht, um dort in englischer Sprache zu arbeiten, obwohl um ihn herum alle Polnisch sprechen. Sicherlich sprechen auch alle Kollegen im Büro mehr oder weniger gut Englisch, aber wenn man nicht bereit ist, das Polnische zu lernen, wird man immer an der gesellschaftlichen Oberfläche schwimmen. Genau diese Situation finde ich in Shanghai vor: ich spreche Han, aber um mich herum sprechen die meisten Menschen Wu. Dennoch bin ich in China und wir alle haben so wie etwa in den skandinavischen Ländern dieselbe Sprache auf den Fernsehbildschirmen. 1.3 Milliarden Han stehen Minderheiten von Wu, Min, Gan, etc. Sprechern gegenüber. Wozu synchronisieren? Nur der wirtschaftsstarke Raum um Hongkong konnte sich lange eine sprachliche Identität bewahren, wird aber ebenso zunehmend von Han überrollt, da das Bildungssystem Putonghua als Unterrichtssprache vorschreibt.
Bei einigen geschäftlichen Termine habe ich chinesische Rechtsanwälte, Unternehmer, Beamte, etc kennengelernt, die nur eine ausländische Sprache beherrschten, und war etwas von den polyglott eingeschätzten Chinesen enttäuscht gewesen, bis ich später erkannte, dass sie oft drei sinitischer Sprachen mächtig waren. Es ist nicht unüblich, dass ein chinesischer Unternehmer, der in Peking geboren wurde, in Shanghai sein Studium absolvierte und in Hongkong sein Berufsleben verbringt, sowohl Han, Wu und Yue wie auch geschliffenes Englisch spricht. Bedenkt man nun, dass die sino-tibetische Sprachfamilie von der indo-germanischen Sprachfamilie enorm weit entfernt ist, was Schrift, Phonetik, Grammatik, Syntax und Semantik betrifft, so ist es nachvollziehbar, wenn ich behaupte, dass ich in den vergangenen Jahren sicherlich fünf europäische Sprachen hätte erlernen können anstatt nur Hochchinesisch alleine. Oft werde ich gefragt, wie lange es dauert, so fließend Chinesisch zu erlernen wie ich, und ich antworte stets, daß ich nur für das ungeübte Ohr fließend spreche, da Chinesisch für den Westler mehr als jeder andere mir bekannte Sprache ein Ozean ist, dessen Wasser durch die Kiemen meines Fischseins fließt. Als jemand, der nicht in diesem Gewässer, sprich Kulturkreis, aufgewachsen ist, bleibt ein wirkliches Meistern der Sprache ein hehres Ziel, was sich daran zeigt, dass viele Ausländer selbst nach vielen Jahren im Land nur rudimentäre Sprachkenntnisse entwickelt haben und viele frustriert ihren Lerneifer verlieren, weil sich nur zögerliche Verbesserungen einstellen.
Die chinesische Sprache ist also sehr schwierig zu lernen. Sie ist ein Biest, das nicht gezähmt werden kann. Sie ist ein salziger Ozean, der mir die Kiemen versengt. Es gibt Tage, an denen ich in ruhiger und voller Stimme langsam und kontrolliert meine Worte finde, aber ich gestehe ein, dass meine chinesische Sprachidentität üblicherweise einen hohen und angespannten Ton anschlägt. Alles erfordert in China mehr Energie, nicht nur die Sprache, aber es ist die Sprache, die durch diesen Zustand der ständigen Anspannung als erstes in Mitleidenschaft gezogen wird. All jene, die mehreren Sprachen mehr oder weniger fließend mächtig sind, werden nachvollziehen können, dass man mit dem Erlernen einer Sprache quasi eine Tür in eine neue Identität aufstößt und man dieses neue Individuum, diese neue Facette an sich lieben oder hassen lernen kann. So hat sich das Erlernen meines Pflichtschulenglisch nach einem zweimonatigen summer school Aufenthaltes in Neuengland ungemein schnell, verblüffend einfach, in eine neue, angenehme und coole Identität gegossen. Und selbst heute noch, nach so vielen Jahren finde ich mich am liebsten im Englischen wieder, da mein Gedankenfluss nicht so sturzbachartig wie im Deutschen, sondern ruhig und kontrolliert einherkommt. Aber nicht nur das Wesen der Sprache, sondern auch das Wesen der Gesellschaft, in dem man diese neue Identität erlernt und gewonnen hat, spiegelt sich darin wieder. Aus diesem Grunde ist es richtig, wenn man bei klassischem Griechisch oder Latein von toten Sprachen spricht, denn sie werden erst lebendig, wenn sie exogen von einer diese Sprache sprechenden Gesellschaft befruchtet sind, die neue sprachliche Identität von native speakern zum Leben erweckt wird. Ich bin trotzdem froh darüber, dass ich diese Säulen der europäischen Kultur besser kennenlernen durfte, da sie mir in vielerlei Hinsicht das Erlernen anderer Sprachen vereinfacht haben. So war mein zweiter Schritt in Richtung des hispanophonen Raumes eine Angelegenheit von nur wenigen Monaten Auslandsaufenthalt, durch welchen eine neue, lebensfreudige, urlaubsstimmige, flamencosüchtige Identität geschaffen wurde. Wie ist dies aber nun mit Chinesisch? In all diesen Jahren, in denen ich hier in China verweile, ist meine chinesische Identität zu einem wichtigen Bestandteil meines Wesens geworden. Manche Kollegen schildern mir, dass sie das Gefühl hätten, in mir steckten zwei Personen, wenn sie mich nach einer Unterhaltung in Deutsch am Telefon in Chinesisch gestikulieren sehen. Wesen, Körpersprache, Attitüde, Erwartungshaltungen, Tonfall, Melodie. Alles ändert sich, wenn man von seiner Muttersprache, die in meinem Fall Deutsch ist, ins Chinesische steigt. Resümierend ist zumindest das gesprochene Chinesisch eine sprachliche Identität der Auseinandersetzung, des Konflikts geworden, denn Konflikte sind in China häufiger und heftiger auszutragen als die andernorts der Fall ist. Jeder Behördengang, jeder Handwerkerbesuch endet zumeist in einem Wortgefecht. Gehört wird man in China zumeist nur, wenn man laut ist, und mir scheint, dass oft der Lautere gewinnt. Wenn er nicht Recht hätte, würde er dann so schreien? denkt man sich offenbar. Und würden wir den weiter schreien lassen, vielleicht begehrt er so lange auf, dass wir selbst Probleme bekommen, ist ein durchaus verbreiteter Gedankenfluss bei Beamten, die die Konsequenzen einer Eskalierung zu ihren Vorgesetzten fürchten.
Die Komplexität dieser Sprache teilt sich in den ersten Monaten und manchmal Jahren in zwei Hürden: jener der andersartigen phonetischen Laute, welche in der intensiven Zeit der Sprachübungen bei allen Studenten (außer muttersprachlichen Slawischsprechern, deren Vielzahl an aspirierten Lauten dem Chinesischen sehr ähnlich sind) einen Muskelkater im Mundraum verursachen, und jener des Einstiegs in die anfangs unnahbar scheinende Welt der Schriftzeichen. Hat man diese beiden Probleme halbwegs gemeistert, stellt sich ein Gefühl des Erfolges ein, welches aus meiner Erfahrung nicht lange hält, hat man den Anspruch sich weiterzuentwickeln. Denn wenn auch Chinesisch eine Sprache ist, von der man allgemein sagt, dass sie auf verbaler Ebene leicht zu erlernen ist, da ohne komplexer Grammatik, ohne Deklination und Konjugation, findet man bald heraus, dass die Grammatik keinen klaren, uns vertrauten Regeln unterliegt, sondern vielmehr aus einer unübersehbaren Kasuistik besteht. Hat man diese kasuistische Grammatik einmal in Basisstrukturen in seinen bereits müden Kopf gebracht und sich diese Leistung eventuell durch das erfolgreiche Bestehen eines 汉语水平考试hanyu Shuiping Kaoshi[xiii] bestätigen lassen, dann beginnt die harte Realität des Lebens, die einem tagtäglich vor Augen führt, dass man nun zwar die Grundlagen der Sprachbeherrschung hinter sich gebracht hat, aber vor einem ein Universum von kulturellen Bezugspunkten liegt, mit denen man schlicht nichts assoziieren kann. Es ist aber gerade diese kulturelle Assoziationsfähigkeit, dies es uns einfach(er) macht, Englisch, Französisch oder auch Russisch zu lernen. Letztlich sind wir, die wir aus dem Westen stammen, Kinder des Abendlandes. So wird ein jeder mehr oder weniger leidenschaftliche Chinesischstudent irgendwann einmal zu einem ausgewachsenen Sinologen, der über Geschichte und Kultur des Landes oft mehr weiß als die meisten Einheimischen. Trotzdem sind Sprichwörter, sogenannte 成语chengyu wie das eben zititere „Auf einen Hirschen zeigen und ihn ein Pferd nennen“ mit denen gerade gebildete Chinesen gerne ihre Sätze schmücken, dem 老外laowai nicht mit der Muttermilch in die Wiege gelegt worden und nur wenige schaffen es dieses Sprachniveau zu meistern. Mich freut es, wenn ich am Telefon chinesische Anrufer eine Zeit lang täuschen kann und sie erst nach einigen Minuten Gespräch fragen, ob ich Ausländer bin. Es beschämt mich mittlerweile, dass viele Chinesen meine Aussprache als die eines Shandong Chinesen empfinden, da ich herausgefunden habe, dass Shandong Chinesen vom Rest des Landes als undeutliche Nuschler empfunden werden. Aber all dies sind nur Teile eines Mosaiks einer Sprachbeherrschung, die nie eine sein wird, und womit die Sprache zu der wesentlichen Hürde zur wirklichen Integration in dieses Land wird. Ich kann mich nach 12 Jahren nicht an einen einzigen Traum erinnern, welchen ich in Chinesisch geträumt hätte. In den USA waren dafür nur wenige Wochen ausreichend. Viel wird über das Schriftmedium bewirkt, das heißt dem Lesen und Schreiben, welches sich meiner Erfahrung nach auf tieferen Ebenen des Bewusstseins festsetzt als das rein gesprochene Wort. Zum Schreiben bin ich nach einem langen Arbeitstag meist zu faul, zum Lesen komme ich ebenso nur während der Bürozeiten, wo ich jeden Tag dutzende deutsch-, englisch- und chinesischsprachige emails abarbeiten muss. Der intellektuell anspruchsvolle Mensch, der in seinen Lebenskräften durch einen Brotberuf geschwächt wird, sinkt daher im Chinesischen langsam ab beziehungsweise schafft es nicht sein Sprachniveau zu verbessern, ähnlich einem türkischen Gastarbeiter in Deutschland, der sich nach 30 Jahren noch immer nur in Baustellenvokabular artikulieren kann. Ein wiederkehrendes Beispiel dafür sind berufstätige Westler, die für einige Jahre nach China kommen, es aber nicht schaffen, neben ihrer Arbeit Chinesisch zu erlernen. Es handelt sich dabei um einen full time job, für den man sich zumindest ein Jahr Auszeit gönnen muß, und sich danach wahrscheinlich fragt, und? Wofür hab ich das nun gemacht? Ein Jahr war zu kurz, ich brauch noch mindestens drei weitere. Und so sitzt man dann in jenem Boot, welches auch ich bestiegen habe, und welches mich nunmehr an China bindet: das große Investment an eigener Zeit. Denn man treibt sich weiter an, um nicht als türkischer Zementmischer in China zu enden. Die türkischen Zementmischer Chinas, sind keine Ausländer, sondern sogenannte Wanderarbeiter, 民工mingong , welche aus den ärmeren Teilen des riesen Landes in die Ballungszentren strömen, um dort ihre kärglichen Existenzen zu verbessern. Die meisten Ausländer, die sich in China länger aufhalten sind hochqualifizierte Experten, da China selbstverständlich genügend Ressourcen an billigen Arbeitskräften besitzt. Nichtsdestotrotz sehe ich mich hinsichtlich gesellschaftlicher Integration und Sprachbeherrschung als 民工mingong, 老外民工laowai mingong, als ausländischer Gastarbeiter.
Zum Thema Sprache drängt sich mir noch ein anderer Zusammenhang auf. Vieles an China ist mit einer gewaltigen Ambivalenz verbunden, wie etwa die Gesellschaft einerseits herausfordernd und interessant, andererseits abstoßend und befremdlich ist. Was die Sprache betrifft, so ist diese Ambivalenz ebenfalls ein Grund einerseits an ihr interessiert zu bleiben, andererseits ebenso ein guter Grund, ihr den Rücken zu kehren. Nach all diesen Jahren, bin ich noch immer von den Schriftzeichen fasziniert und wundere mich oft über die Genialität der Menschen, die vor hunderten von Jahren diese Piktogramme erfunden haben. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich auch viele Künstler vom Chinesischen angezogen fühlen und sich inspirieren lassen. Andererseits sind all jene weiter oben aufgezeigten Aspekte, Grund dafür, daß das Chinesische immer fremd bleiben wird und mit Ausnahme jener gesegneten Kinder, die bilingual aufwachsen, die Menschheit teilt. Wird sich China so weiterentwickeln, dann wird es ähnlich dem Englischen, die Welt in jene Menschen teilen, die den sprachlichen Code Chinas verstehen können und somit ähnlich wie in den USA an den neuesten Trends, Nachrichten, Produkten, etc. aus erster Hand partizipieren, und jene, die darauf angewiesen sind, Information aus zweiter Hand zu erhalten.
Ich will noch etwas mehr auf die Genialität der Schriftzeichen eingehen und ein paar Beispiele einbringen, um diese zu illustrieren. Schriftzeichen unterliegen im Aufbau quasi einer Dreistufigkeit, welche sich als fünf Grundstricharten[xiv], 213 Radikale[xv] und daraus resultierenden mehr als 50000 Schriftzeichen darstellt. Jedes Schriftzeichen besteht in seiner Struktur aus zumindest einer Strichart und kann aus einem oder mehreren Radikalen bestehen. Radikale sind quasi Schriftzeichen im Schriftzeichen, die einer wiederkehrenden und gleichbleibenden Bedeutung unterliegen. Einige Radikale können auch selbst Schriftzeichen sein. Somit kann man mit der Beherrschung der 213 Radikale in einer ungleich größeren Anzahl von Schriftzeichen eine Bedeutung erahnen auch wenn die genaue Bedeutung bzw die Aussprache nicht bekannt ist. Ein Radikal ist somit ähnlich einem Wortstamm in der deutschen Sprache, nur dass es piktographisch die jeweilige Bedeutung vermittelt. Nehmen wir zum Beispiel das Wort zeichnen, so lassen sich aus diesem Wortstamm viele abgeleitete Worte bilden, wie Zeichensatz, aufzeichnen, Zeichnung, gezeichnet, Umzeichnung, abzeichnen, niederzeichnen, ausgezeichnet, etc., welche wir in Bedeutung teilweise verstehen, wenn wir den Wortstamm verstehen. Genauso verhält es sich mit den Radikalen. Verstehe ich beispielsweise das Radikal für Wasser, 水shui, so verstehe ich, dass alle Schriftzeichen, die dieses Radikal beinhalten mit Wasser in Verbindung stehen: schwimmen 游泳 youyong, tauchen 潜水 qianshui, Fluß 河流 heliu, etc.
Während eine Vielzahl von Schriftzeichen eine Kombination aus phonetischem Radikal und Bedeutungsradikal sind, gibt es auch solche, und es sind zumeist Schriftzeichen, die sich über die Jahrhunderte nicht verändert haben, die nur aus Bedeutungsradikalen bestehen. Es sind diese Schriftzeichen, deren Studium zu Erleuchtungsmomenten und Aha-Erlebnissen führt. Das Schriftzeichen you又 hat als Radikal die Bedeutung einer Hand, setzt man es neben das Radikal nü 女, welches für sich genommen ebensfalls Schriftzeichen sein kann und Frau bedeutet, ergibt sich ein neues Schriftzeichen, nu 奴,das Sklave bedeutet. Nun läßt sich daraus folgern, dass die chinesische Gesellschaft vor mehreren hundert Jahren auch in geistigen Welt jener Gelehrten, die diese gedanklichen Bilder erstmals niedergeschrieben haben, heutzutage als sexistisch betrachtet werden muss. Die Hand, welche Macht, Kontrolle, Herrschaft über eine Frau, ein weibliches Wesen ausübt bedeutet Sklave. Sklaven waren also in ihrer ursprünglichen From Frauen im Besitz, in der Hand von Männern, und erst im Laufe der Zeit dürfte sich dieser Begriff auch auf männliche Sklaven unterjochter Kriegsgegner ausgedehnt haben.
Fügt man dem Schriftzeichen nu 奴 ein weiteres Radikal hinzu, nämlich 心xin, welches Herz bedeutet,so ergibt sich ein weiteres interessantes Schriftzeichen, 怒 welches ebenfalls nu, aber in anderer Betonung ausgesprochen wird. 怒 steht für Affekt, Zorn, Wut, wodurch uns vor Augen geführt wird, dass jemand im Banne seines Zornes, Sklave seines Herzens ist. Erst wenn er sich vom Joch des Affektes befreit, kann er wieder zu sich selbst zurückkehren.
Ein anderes Schriftzeichen, welches mich besonders fasziniert hat, ist 满man. 满 wird im modernen Hochchinesisch nicht mehr alleinstehend verwendet, sonder kommt zumeist als Teil des Wortes 满意 manyi vor, welches Zufriedensein bedeutet. 满für sich genommen, bedeutet voll, genug, genügend. Zerteilt man das Schrifzeichen in seine Radikale, so findet man das oben bereits beschriebene Radikal für Wasser auf der linken Seite, das Radikal für Gras, Gemüse obenauf, und das Radikal für Zweisamkeit auf der rechten Seite. Zugegebener Maßen bedarf es etwas Interpretation, aber die Logik hinter dem Schriftzeichen liegt auf der Hand: der Mensch benötigt Wasser, Gemüse und einen Lebenspartner, um genug zu haben, also glücklich zu sein.
Ein anderes Beispiel ist das traditionelle Schriftzeichen für Ameise, 蟻 yi, dessen Bedeutung durch die 1957 durchgeführte Vereinfachung der Schriftsprache, verloren gegangen ist und heute wohl nur mehr älteren Chinesen bzw Taiwanesen und Hongkong Chinesen bewußt ist, da diese die traditionellen Schriftzeichen im Gegensatz zum kommunistischen China weiterhin pflegen. 蟻 yi wurde zu 蚁 simplifiziert und wie viele Worte mit einem zweiten Schriftzeichen zu 蚂蚁 mayi verbunden. 蟻 yi setzt sich ursprünglich aus zwei Radikalen zusammen, wobei das linke Radikal für Insekt steht, das rechte Radikal jedoch für Gerechtigkeit, Loyalität und Uneigennützigkeit. Ohne Zweifel hatten die Schöpfer dieses Wortes die Spezies Ameise intensiv beobachtet und waren von der Fähigkeit sich einem größeren Zweck, jenem des Wohlergehens der Gesellschaft, des eigenen Volkes, unterordnen zu können, zutiefst im positiven Sinne beeindruckt gewesen. Daß die Ameise noch nicht als nationalistisches Vehikel von der kommunistischen Partei verunglimpft wurde, wundert mich an dieser Stelle, der Verweis auf den Animationsfilm Antz[xvi] darf aber nochmals gemacht werden. Die hiermit beschriebene Genialität, welche in vielen Schriftzeichen zu finden ist wurde auch in einem Sprichwort verankert: 字形藏理 zi xing cang li, die Logik der Worte liegt in ihrer Form verborgen.[xvii]
Der Genialität der chinesischen Schriftsprache meinen Respekt zollend, frustriert mich die Sprache als Mittel der gesellschaftlichen Integration stets, da ich mittlerweile akzeptiert habe, dass ich im Chinesischen – auch wenn es fließend klingt und für jede oberflächliche wie auch geschäftliche Konversation ausreicht – nie jene Tiefe erreichen werde, die für mich intellektuelle Befriedigung auslöst. Ich werde immer an der Oberfläche bleiben, was für einen Menschen, der an komplexeren Vorgängen sowohl psychologischer, soziologischer, politischer und anderer Natur interessiert ist zu einem hohlen Dasein führt. Man lebt gleich einem etwas zurückgebliebenen, sozusagen wie ein foreign retard, also wie ein Gastarbeiter, der nie die Zeit hatte, die Sprache des Gastlandes wirklich zu verinnerlichen und dadurch an Themen die mehr Verstand als Muskeln gebrauchen, eingehend zu partizipieren. Dieses sprachliche Defizit auf meiner Seite und der resultierende Mangel an Integration ist durchaus ein wesentlicher Grund, warum ich in China nicht auf Dauer bleiben kann. Ein anderes chinesisches Sprichwort sagt fallende Blätter folgen den Wurzeln[xviii], in meinem Fall kann dies bedeuten, dass ich wieder dortin zurückkehre, wo ich geboren wurde, um mich sprachlich wieder voll integrieren und am politischen, literarischen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.
[i] http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GS36301;
[ii] http://de.wiktionary.org/wiki/Sprache
[iii] Steven Pinker: How the Mind Works, The Language Instinct
[iv] Richard David Precht: Wer bin ich und wenn ja, wie viele? p108f
[v] Fraans de Waal: Der Affe in uns
[vi] http://en.wikipedia.org/wiki/Li_Si
[vii] Lin Yutang: My Country and My People, p211f
[viii] 指鹿为马 (zhi lu wei ma)
[ix] http://en.wikipedia.org/wiki/Putonghua
[x] http://en.wikipedia.org/wiki/Sino-Tibetan_languages
[xi] http://www.nytimes.com/2010/01/14/technology/companies/14baidu.html; http://digimind.com/blog/report/infographic-baidu-vs-google-is-the-battle-already-lost-for-google/
[xii] 指鹿为马 / zhi lu wei ma / pointing at a deer and calling it a horse = deliberatedly confounding right and wrong
[xiii] http://english.hanban.org/node_8002.htm; http://en.wikipedia.org/wiki/Hanyu_Shuiping_Kaoshi#Former_structure_.28before_2010.29
[xiv] Diese fünf Grundstricharten sind: Punktstrich, nach links abfallender Strich, nach rechts abfallender Strich, verikaler Strich und horizontaler Strich
[xv] Der Begriff Radikal wurde von Sinologen in Belehnung des lateinischen Wortes für Wurzel, radex, eingeführt.
[xvi] http://www.imdb.com/title/tt0120587/
[xvii] Siehe dazu auch Adeline Yen Mah: 守株待兔shou zhu dai tu Watching the Tree to Catch a Hare
[xviii] fallende Blätter folgen den Wurzeln: 落叶归根 lou ye gui gen
Sinophone Welt.[1] Rechne damit, dass sich diese Karte zugunsten der Chinesischsprechenden verändern wird.
[1] http://en.wikipedia.org/wiki/Putonghua
[1] http://en.wikipedia.org/wiki/Putonghua
Sinitic Sub-Language Family[2]. Rechne damit, dass sich Anzahl der „Dialekte“ verringern wird.
[2] http://en.wikipedia.org/wiki/Sino-Tibetan_languages
[2] http://en.wikipedia.org/wiki/Sino-Tibetan_languages
Sino-Tibetan Language Family[3]. Rechne damit, daß sich die rote Fläche ausdehnen wird.
[3] http://en.wikipedia.org/wiki/Sino-Tibetan_languages
[3] http://en.wikipedia.org/wiki/Sino-Tibetan_languages