Neue breite Strassen im Schachbrettstil. Eine einsam dahingleitende, hypermoderne und leere Strassenbahn auf einem perfekt gemähten Rasenstreifen, der die beiden Fahrbahnen teilt, neoklassizistische Gebäude mit dorischen Säulen, moderne Hochhäuser, dazwischen teilweise unvollendete Parkgestaltung. Es ist 21 Uhr. Die Gebäude sind zu 95% dunkel. Eine aus dem Ei gepellte Geisterstadt.
Ich nächtige in Shenyang erstmals in der Nähe des Taoxian Flughafens. Nördlich dieses ultramodernen Verkehrshubs hat die Regierung eine Satellitenstadt Namens Hunnan New City | 浑南新城 anlässlich der in Shenyang 2013 ausgetragenen chinesischen Sportolympiade vom Reißbrett weg in Auftrag gegeben. Das Areal erstreckt sich südlich des Shenyanger Stadtzentrums zwischen dem Umfahrungsring und der vierten Ringautobahn auf mehreren Quadratkilometern.
Mein Taxifahrer meint auf meine Frage, ob die involvierten Gebäudeentwickler nicht enorme Schwierigkeiten haben, wenn die Wohnungen nicht verkauft werden, dass es mächtige Verstimmungen zwischen der Stadtregierung und diesen Investoren gibt. Die Regierung hat insgesamt angeblich mehr als eine Milliarde CNY ausgegeben, um die Infrastruktur für die innerchinesische Olympiadeaustragung vorzubereiten. Neben Flughafen, 5 Strassenbahnlinien und einem neuen Regierungsviertel sind bei den Investoren so ziemlich alle öffentlichen Gebäude in Auftrag gegeben worden, die man sich vorstellen kann. Ein leeres kunsthistorisches Museum des Nordostens wartet in dieser nicht nur kunsttechnisch gähnenden Leere auf Fertigstellung.
Öffentliche Aufträge, insbesondere jene, die die Stadtplanung betreffen, müssen in China immer über Landverkäufe an die Immobilienentwickler einerseits und durch Steuereinnahmen der Immobilienentwickler an Endkunden andererseits finanziert werden. Wenn dies auch im Stadtteil Hunnan der Fall ist, hat Shenyang ein Problem. Derzeit werden dort 8000 CNY pro Quadratmeter und mehr für Wohnungen verlangt, doch mit wem ich auch rede, niemand ist bereits in diese Einöde zu ziehen. Es gibt keine Nahversorgung, keine Restaurants, schlicht nichts, ausser viel Beton. Die Strassenbahn wird ebenso als Fehlinvestition betrachtet, da sie zu langsam ist, um die Distanzen der Satellitenstadt vom südlichen Ende des alten Stadtzentrums bis hin zum Flughafen zu bewältigen. Es scheint als habe die Stadtplanung hier in jeder Hinsicht versagt.
Internationalen Beispielen der historischen Stadtentwicklung folgend könnte die Shenyanger Regierung aber dennoch mit ihrer Strategie Recht behalten. Das Gebiet in der Nähe des Washington D.C. Flughafens hat lange Jahre als stadtplanerische Fehlentscheidung gegolten. Mittlerweile hat es sich zu einem der teuersten Wohn- und Büroareale des Landes gewandelt. Durch den Zentralstaat gelenkte Marktwirtschaft in China. Durch öffentliche Investoren gelenkte Marktwirtschaft in den USA. Irgendjemand muss bei Infrastrukturprojekten vorne weg gehen und die Führung übernehmen. Die Resultate werden erst 20 Jahre später sichtbar und sind schwer vorherzusehen.